Saarbrücken. Wie „Biblische Geschichten“ von Olena Chelnokova Tore ins Multiversum öffnen. Die Ausstellung „Biblische Geschichten jenseits von Zeit und Raum“ der ukrainischen Künstlerin Olena Chelnokova, eröffnet im Raum WELTRAUM in Saarbrücken, ist nicht nur ein künstlerisches Ereignis. Sie ist eine Erfahrung der Grenzüberschreitung – zwischen Religion und Persönlichem, zwischen Geschichte und Traum, zwischen einer Welt und unzähligen möglichen.
Auf den ersten Blick ist es eine Serie von Gemälden, inspiriert von biblischen Themen. Doch bei näherem Hinsehen erkennt man: Dies sind keine Illustrationen, sondern Portale. Jedes Werk lädt die Betrachtenden ein, in eine alternative Realität einzutreten – in einen der vielen möglichen Zweige der Welt. Die Künstlerin bekennt sich offen zur Idee des Multiversums, in dem heilige Geschichten sich wiederholen, variieren und transformieren – und in dem der Mensch immer wieder neu mit Fragen von Wahl, Opfer, Licht und Dunkelheit konfrontiert wird.
„Wir leben an der Schnittstelle der Welten, wo Vergangenheit und Gegenwart sich kreuzen und die Zukunft unbestimmt bleibt“, sagt die Künstlerin. „Meine Bilder rekonstruieren keine Geschichten – sie versuchen, sie anders zu lesen. Durch Farbe, Symbolik und Schichtung.“
Geschichte als Pulsation, nicht als Chronologie
Chelnokova lehnt lineare Zeit ab. Sie lädt ein, die biblischen Erzählungen nicht als Abfolge von Ereignissen zu betrachten, sondern als Spannungsfelder – emotional, sinnhaft, visuell.
So entsteht etwa das Werk „Exodus“: Figuren, die eine Welt verlassen und eine andere betreten, mit leuchtenden Heiligenscheinen – sie sind zugleich Moses, ukrainischer Flüchtling und jeder Mensch, der eine Grenze überschreitet. In „Wer bist du, weißer Stier?“ wird das Opfer-Archaische als Paradox sichtbar: zugleich ein Akt der Freiheit und der Unterwerfung. Der Stier ist Isaak, Christus, und ein Soldat, der sich selbst einer Idee opfert.
Das Bild „Who is this coming one“ ist eine meditative Einladung zum inneren Weg. Wer bist du auf deiner Route? Was verbirgt sich hinter der nächsten Kurve? Es geht nicht um Angst vor dem Ende, sondern um Erwartung der Offenbarung. Licht und Schatten kämpfen nicht – sie koexistieren.
Licht als Code, Schatten als Bedeutung
In dieser Serie ist Licht kein ästhetisches Mittel, sondern ein Zugangscode – zum inneren Erleben, zur mystischen Dimension, zu anderen Versionen des eigenen Selbst. Das Werk „Lebensspendender Strahl“ durchdringt Figuren – vom Weisen bis zur Ziege – mit Energie. Es ist ein Licht, das alles verändert, auch den Betrachtenden selbst.
„Unter dem Schutz des Lichts“ zeigt Maria mit dem Kind – nicht als Ikone, sondern als vibrierende Liebe. Licht wird zur fürsorglichen Kraft für jede lebendige Seele. Selbst das Nest mit Eiern und die Tiere am unteren Bildrand sind Teil der großen Metapher einer unteilbaren Schöpfung.
Doch im Werk „Spiele des Bösen oder die Kindheit des Teufels“ verschwindet das Licht fast ganz – es bleibt ein beunruhigendes Spiel von Schatten. Ein Spielzeugpferd wird zum Symbol jenes Moments, in dem das Böse Form annimmt – nicht in der Hölle, sondern im Kinderzimmer.
Kein Narrativ, sondern ein Traum
Chelnokovas Gemälde sind voller Symbole, verlangen aber keine Entschlüsselung. Es ist kein Rätselkunstwerk, sondern ein Traumbild. Es wirkt auf anderen Ebenen – über Gefühl, Assoziation, Vorahnung. Wer die Bibel nicht kennt, kann dennoch spüren: Es geht auch um ihn selbst.
Die Künstlerin zeigt oft Tiere – Fische, Vögel, hybride Wesen. Sie gehören zu ihrem multiversalen Kosmos, in dem Mensch und Tier, Engel und Dämon, Materie und Geist die Plätze tauschen können. Werke wie „Und jedes Geflügelte“, „Und Gott schuf den großen Fisch“, „Fehlstellen“ wirken wie ein archetypischer Chor: keine Bestiarien, sondern Spiegel der ewigen, vielschichtigen Natur der Welt.
Das Multiversum als Spiegel
Die Serie ist – so Chelnokova – keine bloße Bildersammlung, sondern Spiegel, in denen jeder Mensch sich selbst, seine Ängste und Hoffnungen erkennen kann. Das Bild „Wer bin ich?“ zeigt wörtlich ein Fenster zwischen dem „Ich“ und einem anderen Ich – zwischen der Version, die wir leben, und der, die in einer anderen Realität verblieben ist. Und das abschließende Werk „Alles Verborgene wird offenbar“ erinnert daran: Im Licht kann nichts verborgen bleiben. Selbst wenn dieses Licht nicht von außen kommt, sondern in uns selbst leuchtet.
Warum das gerade jetzt wichtig ist
Diese Ausstellung handelt nicht nur von Religion oder Kunst. Sie spricht von einem Verlust der Orientierung – und vom Versuch, sich neu zusammenzusetzen in einer Welt, in der alte Sicherheiten zerbrochen sind. Wenn traditionelle Formen nicht mehr tragen, schlägt die Künstlerin eine neue vor: das Multiversum als Daseinsform.
Es ist eine Welt, in der wir uns wieder neu fragen dürfen: Wer bin ich? Woher komme ich? Was ist das Böse? Was ist das Licht – und wo stehe ich zwischen beiden?
Ausstellungsinformationen
Titel der Ausstellung:
„Biblische Geschichten jenseits von Zeit und Raum“
Künstlerin:
Olena Chelnokova
Ort:
WELTRAUM
Katholisch-Kirch-Straße 5
66111 Saarbrücken
Zeitraum:
29. Mai – 28. Juni 2025
Vernissage:
4. Juni, 18:00 Uhr
Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Freitag: 14:00–18:00 Uhr
Samstag: 11:00–15:00 Uhr
Unser Leserreporter Serhii Koryttsev aus Saarbrucken






