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Wie kann ein Tier würdig sterben?

Bildunterschrift: Für Tierärztin Anne Grunder ist die Einschläferung eines Tieres immer ein sehr berührender, trauriger Moment. Foto: v. Waldow
Für Tierärztin Anne Grunder ist die Einschläferung eines Tieres immer ein sehr berührender, trauriger Moment. Foto: v. Waldow - (Bild 1 von 1)

Wallhalben. Gefühlt gestern noch ist der Hund mit seinen Kameraden über das Feld gelaufen , die Katze hat spielend die Christbaumkugeln vom Baum geholt. Abends haben alle gemeinsam gekuschelt. Heute ist das Körbchen leer.

„Der Zeitpunkt ist niemals passend“

„Der Zeitpunkt ist niemals passend. Ein Tier einzuschläfern tut immer unsagbar weh“, weiß Anne Grunder über den „geplanten Tod“.

Sicher, der Winter sei ohnehin grau und dunkel, die Weihnachtszeit für viele Menschen emotionaler.

Doch im Sommer, wenn man sonst dreimal am Tag mit dem Hund unterwegs war, könne es ebenso schlimm empfunden werden.

Die 46-jährige Wallhalberin ist nicht nur Tierärztin und Tierfreundin, sondern hat mit Pferden und Katzen auch eigene Tiere und kennt diesen herausfordernden Schritt aus allen Perspektiven. Und auch das Thema Sterben und Umgang mit dem Tod.

Ihre Ausbildung als Trauerrednerin, ihre einfühlsamen Empathie und ihr Mitgefühl, gepaart mit der Fähigkeit, verschiedene Belange liebevoll aus einer gewissen, nüchternen Distanz zu betrachten ermöglichen ihr, nicht nur einem leidenden Tier zu helfen, sondern auch dessen Menschen seelisch zu unterstützen. Aktuell lässt sich die Tiermedizinerin zudem in der Telefonseelsorge ausbilden.

Sie verdeutlicht: „Ich weiß genau um die Herausforderungen auf emotionaler, manchmal auch auf ganz praktischer Ebene. Und deshalb liegt mit dieses Thema „Euthanasie am Tier“ besonders am Herzen.“

Noch immer sei es vielfach ein Tabut, und werde, je länger ein Tier einen Menschen oder eine Familie begleitet, je enger die Bindung sei, gerne verdrängt. In der Regel zum Nachteil des Tieres, welches nicht selten unnötig Schmerzen ertragen und leiden müsse, weil „sein Mensch“ sich dem Loslassprozess nicht stellen will, sondern lieber wegschaut, statt ein Tier in Würde über die Regenbogenbrücke schreiten zu lassen.

Anne Grunder bestätigt: „Wer sich einem vierbeinigen Hausgenossen zulegen will, sollte sich darüber im Klaren sein: Spätestens mit zunehmendem Alter bedeutet ein Tier mehr: Mehr Fürsorge, mehr Zeitaufwand, oft mehr Kosten. Doch auch eine junge Katze könne sich im gekippten Fenster schwer verletzen, ein junger Hund angefahren werden.

„Widernatürliche Vermenschlichung.“

Aus ihrer Sicht ein völlig falsches, wenig tiergerechtes Bild, entstehe durch Angebote, ein Tier zu Hause in Ruhe beim Sterben zu begleiten.

Die Tierärztin erinnert: „Das ist völlig widernatürlich und eine grandiose Vermenschlichung.“

In der Natur ersparten Fressfeinde oder sogar Artgenossen einem kranken oder verletzten Tier langes Leiden.

Sie empfiehlt daher jedem Menschen, der sich ein Tier zulegt, sich mit dem Thema Alter, Krankheit oder Unfall auseinander zu setzen und auch seine finanziellen Möglichkeiten zu betrachten. Zwar sei verboten, ein Tier zu euthanisieren, weil dessen Behandlung vom rechtlichen Tierbesitzer nicht finanziert werden kann, doch könne dem einen oder anderen Vierbeiner eine Therapie eine verlängerte Lebenszeit mit einem recht angenehmen Lebensabend ermöglichen. Anne Grunder stellt klar: „Im Mittelpunkt steht immer das Tier!“

Ihre vielfach erlebte Vision vom „idealen Zeitpunkt“ für den „unausweichlichen Termin“ und die letzte Spritze: „Das Tier kommt so vertrauensvoll wie immer in die Praxis und merkt, liebevoll umsorgt, vor lauter Freude über sein Lieblingsleckerli den Pieks gar nicht.“

Weil es keinen Anschlusstermin gibt, können die Menschen unter ihrer Betreuung in Ruhe Abschied nehmen.

Etwas, das Zuhause oft nicht möglich sei. Wenngleich die Tiermedizinerin die öfter an sie heran getragene Idee der finalen Injektion in den eigenen Vierwänden nachvollziehen kann, gibt sie zu bedenken: „Die Bedingungen sind dort selten ideal, begonnen bei den Platz- und Beleuchtungsverhältnissen.“

Könne ein Hund seiner Aufgabe, das Haus und seine Menschenfamilie zu beschützen, indem er kontrolliert, wer dort ein- und ausgeht, nicht mehr nachkommen, bedeute dies für das Tier einen totalen Kontrollverlust und eine immense emotionale Anspannung.

Stress entstehe auch, wenn die Familie plötzlich überfordert die Nerven verliere und womöglich weinend aus dem Raum laufe. Was in der Tierarztpraxis anders zu handhaben sei.

Kinder zum Abschieds- termin mitbringen

Deshalb auch ist Anne Grunder ein Fan davon, Kinder mitzubringen zu diesem Abschiedstermin. Sie weiß: „Mit ihnen kann man meist so gut reden. Lässt man ihnen ihre Zeit, tragen sie die Entscheidung ganz anders mit, was den Familienstress im Nachgang minimiere. Zumal ein solches Erleben in der Regel enger zusammen schweiße und auch den Verlustschmerz leichter gemeinsam tragen lasse.

Die Frage, will ich sofort komplett loslassen oder eine Urne, den Leichnam außerhalb des Wasserschutzgebiets in angemessener Tiefe im Garten begraben, die Asche künftig als Diamant oder im Medaillon um den Hals tragen, gelte es, vorher und stressfrei für sich selbst zu klären.

Wichtig für die Tierärztin ist die Indikation: Die Gesundheitsprognose lässt nach gründlicher Untersuchung, der Krankenakte und den Erfahrungen eindeutig eine (noch) schmerzvolle(re) Zukunft und großes Leid erwarten, welche jede natürliche Lebensweise und Lebensfreude massiv einschränkt oder gar ausschaltet? Davor gelte es für die Tierhalter, unabhängig von den eigenen Verlustängsten, verantwortungsvoll zu handeln.

Sie stellt klar: „Ich kann nur beratend zur Seite stehen, quasi als verständnisvolle Anwältin für das Tier. Einscheiden müssen die eingetragenen Tierhaltenden.“

So rät sie, selbst im Notfall nach Möglichkeit die bekannte Praxis aufzusuchen, welche Hund oder Katze kennen.

Ideal sei für jeden Fall rechtzeitig ein Tierarzt-Training nicht nur mit Angstpatienten.

Damit könne man sich und dem Tier hoch emotionale Situationen erleichtern. Das erleichtere für alle Impftermine, Zahn- oder Krallenpflege.

Anne Grunder lächelt und sagt: „Das klingt jetzt alles so schwer und negativ. Dabei erleben wir solche Verluste mit jedem Lebewesen, das uns am Herzen liegt. Und die Dankbarkeit für die gemeinsame, glückliche Zeit, die vielen frohen Stunden miteinander sind unzerstörbar und jeden Kummer wert.“ So empfindet es die Tierfreundin selbst und so hört sie es auch regelmäßig von ihren Kunden.

Tipps von Anne Grunder, die helfen können, den Verlust eines Tieres leichter zu überwinden:

1. Setzen sie sich mit dem Thema Krankheit und Tod, ihrem finanziellen Polster oder einer Versicherung im Fall von Krankheit oder Unfall und der Verantwortung für einen finalen Eingriff auseinander.

2. Treffen Sie rechtzeitig Entscheidungen, bevor die schmerzvolle Realität dazu zwingt, damit das Tier in Würde sterben kann

3. Bereiten Sie sich in guten Zeiten auf den letzten Termin vor: wie läuft das ab, wo kann ich im Notfall anrufen? Wie oft kann/darf/soll ich mit meiner Tierarztpraxis in Kontakt bleiben, wenn das Ende naht?

4. Sind Sie ein nachtragender Trauertyp und wollen die Tierartzpraxis nicht mehr betreten? Finden Sie für mögliche weitere Tiere rechtzeitig eine Alternative, bis der Schmerz abgeklungen ist

5. Geben Sie ihrer Trauer Zeit und Raum! Wäre kein Schmerz da, hätte auch keine wirklich tiefe Beziehung bestanden.

6. Verharren Sie nicht in Ihrem Kummer, sondern bleiben Sie trotzdem in Bewegung, auch, wenn es weh tut. Hilfreich ist, trotzdem mit der gewohnten Hundegruppe mit spazieren zu gehen. So bleiben Sie zudem in Kontakt, können mit Gleichgesinnten über ihre Erinnerungen sprechen. Die anderen Hunde können trösten, jeder auf seine Art.

7. Lassen Sie sich helfen. Ein Anruf beim der Telefonseelsorge kann Erleichterung verschaffen, wenn man sich in seinem Schmerz allein und hilflos fühlt. Für viele Menschen bietet ein Gespräch eine wertvolle Unterstützung bei der Trauerbewältigung. cvw

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